Ich finde es immer toll, wenn Leute die Lehre der objektiven Zurechnung außerhalb des Kontexts deliktischen Unrechts anwenden wollen.
Übrigens ist es hochgradig unpräzise von vom "Unterschied zwischen Kausalität und objektiver Zurechnung" zu sprechen, weil die Lehre der objektiven Zurechnung als normative Begrenzung adäquater, also rein realweltlich-faktischer (naturgesetzlicher) Geschehensabläufen Teil der juristischen Kausalitätsbetrachtung ist und daher nicht von ihr zu unterscheiden ist. In etwa so, wie die Spielfeldumrandung auf dem Fußballplatz nur einen kleinen Teil der Spielfläche ausmacht, sie aber als notwendige Begrenzung das legale Spielfeld normativ definiert, weil sonst niemand weiß, bis wohin er mit dem Ball eigentlich rennen darf. Normative Begrenzungen ermöglichen erst die Subsumtion unter gesetzliche Tatbestände, weil erst dann überhaupt klar ist, welchen Teil eines tatsächlichen Geschehens man mit den ebenfalls normativen Tatbestandsmerkmalen vergleichen will. Die Lehre der objektiven Zurechnung ist quasi die normative Übersetzungsleistung eines tatsächlichen Geschehens in einen rechtsnormativen Sachverhalt.
Mit solchen unnötig unpräzisen Formulierungen lässt man unnötig Punkte liegen in der Klausur.
Naja, es ist schon korrekt, hier von einem Unterschied zu sprechen. Jede zurechenbare Handlung ist auch kausal, aber nicht jede kausale Handlung ist zurechenbar; wenn ich also von dem Unterschied zwischen beidem spreche, möchte ich nur betonen, dass sie eben nicht in jedem Fall deckungsgleich sind - das übrigens in Abgrenzung von älteren Konstruktionen, die ja auf das Merkmal ganz verzichten; wo dann also jede kausale Handlung grundsätzlich zurechenbar ist und nur der subjektive Tatbestand entscheidet. Ich habe nicht gesagt, dass die beiden Zurechnungstatbestände nichts miteinander zu tun haben. Im Prinzip ist das das mathematische Konzept von notwendiger und hinreichender Bedingung - und niemand würde Anstoß daran nehmen, wenn ich vom Unterschied zwischen einer notwendigen und hinreichenden Bedingung bei der Scheitelpunktbestimmung spräche. Oder, um ein weiteres strafrechtliches Beispiel zu nennen, die Unterscheidung zwischen Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit - freilich ist die Tatbestandsmäßigkeit Teil der Rechtswidrigkeit, die Rechtswidrigkeit steckt nur die Grenzen der Strafbarkeit bei tatbestandsmäßigem Verhalten ab; daraus folgt aber nicht, dass kein Unterschied zwischen beidem besteht. Man muss ehrlich sagen, dass man hier dann auch eher in linguistischen als rechtlichen Fragestellungen landet.
Und ich finde es sehr nützlich, das zugrundeliegende Konzept von Straf- und Deliktsrecht losgelöst auf andere Fälle der Verantwortlichkeit im weiteren Sinne zu übertragen, weil es sich um eine formalisierte, rationale Erklärung für ein bei den meisten Menschen ohnehin vorhandenes intuitives Verständnis von Verantwortungskreisen handelt. Ein logisches Werkzeug, welches für die juristische, normative Verantwortungsbestimmung entwickelt wurde, kann sehr wohl auch für die Verantwortungsbestimmung im weiteren Sinne genutzt werden. Weil man damit das intuitive Störgefühl in Bezug auf Herrn Wienands - und damit wird dieser Post doch noch irgendwie halbwegs on-topic - Bullshitbehauptung logisch und formalisiert erklären kann.